Interview

 

Der belgische Rundfunk, Radio 1, sendete am 27. Februar 2003 in der Musiksendung “De groote boodschap” einen

Konzertmitschnitt vom Dranouter Folk Festival (4. August 2002).

Im Rahmen dieses Konzertmitschnitts, zu Ehren von

Johannes Kerkorrel, wurde auch Stef Bos interviewt.

 

 

Jan Vanlangendonck:

Johannes Kerkorrel auf dem Festival von Dranouter im vorigen

Sommer. Das war eine [...] Passage vom [...] Festival, an dem auch

Stef Bos teilnahm.[...]

 

 

Stef Bos:

Ich lernte Johannes Kerkorrel kennen, als er zum ersten Mal nach

Dranouter kam, ich glaube das war 1992 oder 1993. [...]

Wir sind danach mit ein paar Leuten nach Antwerpen gefahren.

Wir saßen dort zusammen auf der Terrasse des “De Faam”

und plauderten. Wir trafen zum ersten Mal einen weißen

Südafrikaner der überhaupt nicht in unser vorgefertigtes Bild

paßte, das ich vorher von Südafrika hatte, nämlich dass alle Weißen

in Südafrika Rassisten sind. Das war ein fantastischer „eyeopener“,

um mal ein schlechtes Niederländisches Wort zu benutzen.

 

Es hat mir aber die Augen geöffnet.

 

Wir beschlossen an diesem Abend, eigentlich ohne Plan

auszuprobieren, Lieder in Niederländisch und Afrikaans zu schreiben.

Denn es gefiel mir, dass jemand, der in Südafrika in einer besonderen

Zeit aufgewachsen war, mit Begeisterung und Engagement Musik

macht und schreibt. Die Pläne um zusammen Lieder zu schreiben

sind dann sehr spontan entstanden.

Da war nichts von wegen, laß es mich mal in Südafrika

probieren und du probierst es in Belgien.

 

 

Jan Vanlangendonck:

Die beiden Songwriter haben sich also auf einer Terrasse in Antwerpen

kennengelernt. Ein Niederländer und ein Südafrikaner.

Trotz der unterschiedlichen Welten, aus denen sie kamen, hatten sie

einen Draht zueinander.

 

 

Stef Bos:

Es ist schwierig, ein sinnvolles Bild wiederzugeben, wenn man    

jemanden so lange kennt. Wir ähnelten einander, der Hintergrund

war ähnlich. Wir kamen von total verschiedenen Plätzen in der 

Welt, mit einer unterschiedlichen Geschichte. Wir hatten aber beide

einen protestantischen Hintergrund. Im Protestantismus liegt ein

bißchen der Protest. Sicher vor allem in dem Land, wo er herkam.

In den Niederlanden protestieren sie immer noch, aber sie wissen 

manchmal nicht wogegen. Aber in Südafrika gab es wirklich

einen Grund, das ist denke ich, die Motivation gewesen, bestimmt

für ihn und Koos Kombuis, die förmlich explodierte. Das ist

etwas gewesen, zu der Zeit, das können wir uns nicht vorstellen.

Die „Vogelfrei“ Tour. Verboten durch die Regierung. Ich

weiß noch, das erste Mal als ich nach Hillbrow kam zum

Schreiben, wohnte ich in einem Zimmer bei ihm Zuhause.

Da war das Schloß an der Tür kaputt und ich fragte Kerkorrel

nur so, was denn passiert sei. Und er antwortete: “Vor zwei

Monaten war der Sicherheitsdienst hier, die haben die Tür

eingetreten und mich aus dem Bett geholt”. Das Beziehungsband

von uns beiden war menschlich gesehen dasselbe.

Aber wir waren auch sehr verschieden. Johannes war sehr  

phlegmatisch. Wenn wir durch Johannesburg liefen und da war Gewalt, 

benahm er sich so, als ob da nichts wäre. Nach dem Motto “No Crisis”.

Ich habe auch ein bißchen von ihm gelernt, beinah buddhistisch damit

umzugehen.

 

 

Jan Vanlangendonck:

Johannes Kerkorrel, Ralph Rabie hieß er, lebte in einem explosiven

Klima, soviel ist klar. Stef Bos besuchte ihn, um zusammen einige

Lieder aufzunehmen und hatte danach regelmäßig

Kontakt zu ihm.

 

 

Stef Bos:

Ja ich hatte viel Kontakt zu ihm. Deshalb berührten mich seine

Leiden auch. Ich wußte, dass jemand aus dem Leben gehen wollte

und dass ihm die Dinge zu schwer werden und das er die Verbindung

nicht mehr halten konnte. Wir sahen uns die letzten Jahre viel, vor

allem freundschaftlich. Denn als ich begann, war ich ein  

beschäftigter Mann, hatte viele Pläne, viel aufzuholen, viel zu lernen.

Als ich Ralph kennenlernte, war er ein Mensch, der sicher durch die 

Apartheid, doch mehr Einsicht in Dinge hatte. Anfangs lief das nicht  

so gut mit uns. Ich war sehr beschäftigt, mußte ins Studio, etwas

tun. Die letzten Jahre war das vorbei, ich fand es viel wertvoller  

mit ihm über das Leben, die Liebe und sonst noch was zu reden.

Und mehr die Geselligkeit und die Freundschaft. Und das Konzert,

das Sie heute Abend hören. Zwei Tage später saß er mit seinen

Freunden zusammen bei mir Zuhause in einem Zimmer und da

hatten wir sehr viel Spaß. Danach habe ich ihn noch in Stellenbosch

besucht, wo er die letzten Jahre wohnte. In der Gegend von [...]

Im Oktober haben wir eine sehr schöne Sache zusammen gemacht.

Mit Ray Phiri, der schwarze Gitarrist, der zusammen mit Paul Simon

Graceland aufgenommen hat. Mit Louis Mhlanga und sechs Zulu

Frauen haben wir zusammen in Den Haag gespielt. Das war drei

Wochen vor seinem Tod, er war phänomenal, ich hatte ihn noch

niemals so gut gesehen. Wir hatten den Auftritt zusammen in Hillbrow

geplant. Aber scheinbar war das seine Art damit umzugehen, war er

bereits so entspannt, weil er in seinem Kopf schon einen

Beschluß gefaßt hatte. Dass er nicht mehr dagegen 

ankam, es nicht mehr auf die Reihe brachte. Ich denke, dass das 

in Dranouter, ohne sentimental zu werden, im Konzert auch schon zu  

hören ist. Wenn ich versuche den Film zurückzudrehen, so weit wie 

das möglich ist, hatte ich voriges Jahr Gespräche mit ihm. Ich dachte 

das er ein bißchen darüber hinweg war. Aber ich denke,

dass der Entschluß, um auszusteigen, schon lange gefaßt war.

 

 

Jan Vanlangendonck:

Johannes Kerkorrel war der Protestsänger, der verwaist

zurückblieb, als das Apartheidregime in seinem Land verschwand.

 

 

Stef Bos:

Als Johannes Kerkorrel zusammen mit Koos Kombuis

und noch Anderen begann, war das natürlich immens populär.

Die Jungs spielten in vollen Stadien. Das war die letzten Jahre

anders. Mit dem Fall der Apartheid hatte Johannes Mühe sich neu zu

definieren, da hatte ich auch mit ihm drüber gesprochen.

Koos Kombuis war jemand der immer ein bißchen in

seiner eigenen Welt lebte. Ich habe mit ihm auch sehr viel Kontakt.  

Ein fantastischer Mann und ein großartiger Texter. Und Kerkorrel, der

war ursprünglich Journalist. Er mußte alles was er um sich herum sah 

erklären können. Und sicher hatte er auch Probleme mit dem Ende 

der Apartheid und auch damit dass einige Menschen während der 

Apartheidjahre Gebrauch vom System gemacht hatten , die dann

einfach den Kopf wendeten, als die Apartheid vorbei war, diesen

Opportunismus konnte er schwer ertragen. Ich denke, dass

er ein paar Jahre gebraucht hat um sich davon zu erholen. Das

führte auch ein bißchen dazu, sich marginal zu fühlen. Er

hatte sehr viele Probleme mit der Kritik, die ihm in Südafrika

entgegengebracht wurde. Die manchmal berechtigt, aber

manchmal auch unberechtigt war. Da wurden die alten

Rechnungen beglichen.

Aber die letzten Jahre lief es sehr gut mit ihm, er schrieb 

wundervolle Sachen. Und er bekam auch ein bißchen den Status, 

den er in Südafrika verdiente. Er und Kombuis haben in der

südafrikanischen Kultur etwas Unglaubliches geschafft, indem

sie ein Gewissen angestoßen haben. Das bekam er die letzten  

Jahre auch ein bißchen zurück. Die Ironie ist natürlich sein unfassbarer

Tod, als ob Brood zehn Mal vom Hilton in Amsterdam

runtergesprungen ist. Ich weiß nicht. Seitdem beschäftigt mich auch,

wer er in Südafrika war. Wochenlang waren die Titelseiten

der Zeitungen voll von Berichten. Und dass es die Gesellschaft auch

ein bißchen bedauerte, die Tatsache, daß sie ihm nicht die Ehre

erwiesen haben, die er verdient hat.

 

 

Jan Vanlangendonck:

Soweit Stef Bos. Und um Johannes Kerkorrel die Ehre zu erweisen,

hören wir das Konzert auf dem Festival von Dranouter vom

4. August vorigen Jahres weiter. [...]

 

Gehört und übersetzt von: Peter Mioch

 

 

Links

 

Johannes Kerkorrel bei Wikipedia

Radio 1 Homepage

Stef Bos Homepage

Louis Mhlanga Homepage

Koos Kombuis Homepage

 

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