Das folgende Gespräch wurde von Lute Vanduffel im Rahmen der Sendereihe Tijdgenoten
|
(Zeitgenossen) Leben und Werk von Menschen von heute zu Hause bei Stef Bos geführt
|
und aufgezeichnet.
|
|
Gesendet wurde es am 8. Februar 2004 auf Radio 1 VRT (Belgien).
|
|
Das Interview fand in einer sehr entspannten Atmosphäre statt.
|
|
Lute Vanduffel:
|
Stef Bos ist gerade aus Südafrika zurückgekehrt. Ab nächster Woche tourt er wieder durch
|
die Theater in Flandern und den Niederlanden. Auf dem Weg nach Wachtebeke(B) höre ich
|
seine letzte CD donker en licht (dunkel und hell). Wunderschön wie er über die Einsamkeit singt
|
und bewegend, wie er zum Beispiel in de overkant (Das Jenseits) über den Tod seiner Mutter
|
singt. Sollte Stef Bos ein besonderer Mann sein? Nein, stelle ich sofort fest, als er mich auf
|
seinem restaurierten Bauernhof empfängt. Stef Bos ist fröhlich und voller Energie und stolz wie
|
ein Schneekönig auf seinen neuen Lieblingsplatz in Wachtebeke.
|
|
Stef Bos:
|
Das ist Stille. Irgendwann vemißte ich das in der Stadt. Ich wurde ein bisschen verrückt von den
|
Zuständen bei den Nachbarn bei mir in der Gegend, die ein bisschen zu viel Lärm machten. Ich
|
fühlte, dass ein neuer Abschnitt in meinem Leben angebrochen war. Ich habe immer noch nicht
|
das Gefühl, das es mir um Besitz geht. Da wo ich bin, versuche ich zu Hause zu sein. Ob das in
|
Südafrika ist, oder hier oder in den Niederlanden. Aber mir fehlte schon ein Platz, wo ich meine
|
Sachen hinlegen kann und dann muss es auch ruhig sein. Stille ist etwas in dieser Zeit, das
|
nicht für Geld zu haben ist. Es passt auch zu mir, hier an der Grenze zu wohnen.
|
|
Lute Vanduffel:
|
Gehst du hier auch spazieren oder bleibst du meistens zu Hause?
|
|
Stef Bos:
|
Ich bin erst in der letzten Zeit spazieren gegangen, die letzten zwei Monate. Wenn ich den
|
ganzen Tag schreibe, muss ich mir ab und zu die Beine vertreten. Ich habe hier unheimlich
|
schöne Ecken entdeckt. Hier hinten. Ich wohne an einem Kanal. Da hinter den Bäumen, das
|
kannst du jetzt nicht sehen. Es regnet jetzt, wir gehen nachher noch Mal kurz raus.
|
|
Lute Vanduffel:
|
Da stehen ja auch die klompjes! (Holländische Holzschuhe)
|
|
Stef Bos:
|
Wenn die Leute mich mit den klompjes rumlaufen sehen, dann würden sie einen falschen
|
Eindruck von mir bekommen. Aber wenn es ein bisschen matschig wird, das ist ein alter
|
Bauernhof, dann sind klompjes super praktisch.
|
Da drüben, bei der Hecke, wie nennt man die noch mal, Taxis, das sind doch Heilpflanzen? Das
|
musste ich alles lernen, ich wusste nichts über Bäume, über Vögel... Hier läuft der alte
|
Kanal entlang. Eigentlich ist das hier in Wachtebeke eine alte Moorkolonie und es ist wahnsinnig
|
schön, da lang zu laufen.
|
Was das betrifft, möchte ich nicht mehr in der Stadt wohnen. Höchstens für einen
|
kurzfristigen Aufenthalt. Es ist herrlich so zu arbeiten. Gerade für mich, weil ich ja oft toure.
|
Und es ist herrlich, morgens wach zu werden, und den Wind und die Bäume zu hören.
|
Gegenüber stehen die Kanadischen Pappeln.
|
|
Lute Vanduffel:
|
Die so schön rauschen!
|
Da ist das Studio
|
|
Stef Bos:
|
Ja, der Nachteil an einem normalen Studio ist, das es immer dunkel ist. Wenn ich hier hinter dem
|
Haupttisch sitze, dann kann es vorkommen, dass draußen ein Eichhörnchen vorbeiläuft. Oder
|
ein Kaninchen. Das hört sich natürlich idyllisch an. Aber mir geht es so, wenn ich Lieder
|
schreibe, die von der Welt handeln wie ich sie erfahre, warum soll ich mich dann in ein dunkles
|
Loch zurückziehen, um sie aufzunehmen. Eigentlich passt das nicht. Zumindest wenn ich hier
|
arbeite, ist es für mich angenehm zu wissen, was draußen passiert. Wie das Wetter ist, ob
|
die Sonne scheint oder ob es regnet. Das spornt an, wenn ich beschäftigt bin, gibt eine
|
Perspektive. Wenn dann ein Kaninchen vorbeihüpft, dann denke ich, das ist auch schon ganz
|
gespannt auf die nächste CD. Das ist sehr schön.
|
|
Für mich ist es so, wenn ich hier reinkomme und so beschäftigt bin und ich müsste dann
|
noch zehn Jahre umbauen, dann würde ich unruhig, dass ist nichts für mich.
|
|
Lute Vanduffel:
|
Das ist herrlich hier zu arbeiten.
|
Hast du hier schon Lieder geschrieben?
|
|
Stef Bos:
|
Ja. Das Piano ist ein Instrument mit einer Seele. Vorausgesetzt man kennt sich lange, und wir
|
kennen uns schon zehn Jahre. Es ist herrlich, damit allein zu sein. So ein Instrument erzählt eine
|
Geschichte. Ich denke dieses Piano ist sechzig oder fünfzig Jahre alt. (Stef Bos spielt beim
|
Erzählen auf dem Piano).
|
Ich habe hier eine Sache, die habe ich natürlich zur Hand. Ich gebe mir selbst immer öfter einen
|
Auftrag. Das gefällt mir, wie das in den fünfziger Jahren lief, da suchten sie sich ein bestimmtes
|
Thema aus. Ich muss natürlich einen Bezug zum Thema haben, es darf keine nüchterne Analyse
|
sein.
|
|
Ich arbeite jetzt an einem Thema, dass “gefährlich” ist. Die Verliebten.
|
|
Du kannst da ironisch oder zynisch mit umgehen. Du kannst es betrachten und Wärme fühlen,
|
aber tatsächlich ist man neidisch. Wenn du siehst, welchen unglaublichen Glauben in alles die
|
Liebe beinhaltet. Ich fühle auch, was es bedeutet älter zu werden. Es wird niemals mehr so
|
sein wie beim ersten Mal. Ich will das auch nicht mehr, denn ich weiß, dass ich davon
|
fürchterlich nervös werde. Aber ich habe gedacht, ich will etwas darüber schreiben, um
|
es einzuordnen und es so zu lassen wie es ist.
|
|
Stef Bos singt und spielt ein neues Lied zum Thema:
|
|
Die Kathedrale liegt im Dunkeln
|
Über den Dächern der Häuser
|
Und die Stadt fällt in Schlaf
|
Und die letzten Kneipen schließen
|
Und da irgendwo in der Ferne
|
Stehen zwei Menschen auf einem Platz
|
Im Schatten eines Engels
|
Weil sie auserwählt sind
|
Die Verliebten
|
Die Verliebten
|
Die Verliebten
|
Die Verliebten
|
|
Und das wird eine ganze Geschichte
|
|
Eigentlich wollte ich damit beginnen, dass die Kathedrale alles sieht. Das fand ich aber ein
|
bisschen zu pathetisch. Und ich folge den Verliebten durch eine Stadt, durch Paris. Im Text
|
kommt nur das Wort Seine vor. Ansonsten nicht zu viele Plätze. Ich will das ganz archaisch
|
halten.
|
Und der Mond liegt ihnen zu Füßen. Da habe ich sehr lange drüber nachgedacht, wie ich
|
das ausdrücken kann. Und der Mond liegt ihnen zu Füßen. Wenn sie in das Wasser sehen.
|
Oder in den Spiegel des Wassers. Das weiß ich noch nicht genau. Aber der Mond liegt zu
|
ihren Füßen. Das finde ich schön.
|
|
Der Mond liegt zu ihren Füßen
|
Wenn sie in das Wasser sehen
|
Und sie an der Seine tanzen
|
Und sie stellen tausend Fragen
|
Aber die Antwort ist zu lesen
|
In den Sternen
|
In ihren Augen
|
Und sie wissen nicht was Wahr ist
|
Aber sie trauen sich zu Glauben
|
|
Die Verliebten
|
|
Das ist eigentlich der Grund, warum ich das schreibe. Ich will damit sagen, dass die Menschen
|
sich nicht trauen zu glauben.
|
Wenn ich von Südafrika aus nach hier reise, das ist ein unglaublicher Kulturschock. Wie
|
dynamisch im Moment Südafrika ist. Kurz nach der Apartheid. Wie neu alles für die Menschen
|
ist. So unglaublich offen alles. Die Malerei. Ich arbeite gerade mit einer Malerin zusammen an
|
einem Buch. Menschen sprechen nicht über Kunst, sie machen sie. Das ist im Moment ein
|
Land das in seiner eigenen Geschichte ein bisschen in der Schwebe liegt. Das ist unglaublich,
|
wenn man in Kapstadt rum läuft. Dann komme ich hierher zurück.
|
Da komme ich hier natürlich in eine Welt, meine Welt. Nicht das ich mich davon distanziere, ich
|
komme aus diesem Teil von Europa. Hier gibt es sehr viel Zynismus, sehr viel Ironie. Was sich in
|
der intellektuellen Mitte oft abspielt, siehst du zwischen den Beziehungen der normalen
|
Menschen auf der Straße und dem Materialismus. Es gibt immer eine Entschuldigung, um sich
|
nicht mit sich selbst zu beschäftigen, zu konfrontieren. Sich nicht trauen zuzugeben, dass
|
man sich freut, wenn man zwei verliebte Menschen auf der Straße sieht. Anstelle dessen so
|
zu reagieren, als ob das lächerlich, töricht ist. Okay, dann sind wir töricht. Soweit Pastor Bos.
|
|
Im Hintergrund hört man die Melodie Kazazi.
|
|
Und hier, das ist eine sinnträchtige Frage. Warum steht der Schreibtisch am Fenster? Meine
|
ersten Gedichte, die ich las, waren von Erich Kästner. Es gibt ein Foto von ihm, hinten auf
|
einem Buch. Als er noch in München wohnte, die letzten Jahre seines Lebens. Einen
|
Schreibtisch vor dem Fenster. Und seitdem, das ist seltsam, an jedem Ort versuche ich den
|
Schreibtisch am Fenster aufzustellen. So das ich das Fenster im Sommer zum Arbeiten öffnen
|
kann.
|
|
Jetzt sitze ich am Schreibtisch von meinem Großvater.
|
|
Das erste Lied, das ich wirklich hier geschrieben habe, entstand ganz spontan. Es war Herbst.
|
Ich war gerade aus Südafrika zurückgekommen und hatte das erste Mal in meinem Leben
|
das Gefühl, das ich den Herbst sehe. Immer in der Stadt gewohnt, 24 Jahre lang. Es war
|
unglaublich. Die Kanadischen Pappeln, die Blätter fielen massenhaft wie Schnee von den
|
Bäumen. Ich stand am Abend im Wohnzimmer und mir wurde plötzlich bewusst, dass ich
|
glücklich war. Und nicht blind, nicht wegen etwas. Ich denke, dass das die schönste Form
|
von Glück ist, wenn man nur froh ist, dass man lebt. Bestimmt wenn man 42 Jahre alt ist, so
|
wie ich. Ich dachte: Du kannst immer noch so etwas fühlen und ich hatte das an diesem
|
Tag erfahren. Ich kann noch immer nach 42 Jahren wie das erste Mal sehen. Auf
|
einmal etwas sehen, das mich aus der Fassung bringt. In einem Stück kam dieses Lied aus
|
mir heraus.
|
|
Stef Bos singt und spielt:
|
|
Immer wenn du denkst, das ist das Ende
|
Stehst du an der Grenze, von dem was beginnt
|
Immer wenn du denkst, alles zu kennen
|
lässt es sich plötzlich wieder anders sehen
|
Aus dem Dunkeln wird ein neuer Tag geboren
|
Und du fühlst ein anderes Gleichgewicht entstehen
|
Und du hast ein Lied schon tausendmal gesungen
|
Weißt jetzt erst, worum es darin geht
|
Soviel, was du denkst noch nicht geschrieben
|
Soviel, das du bist noch nicht gewusst
|
Soviel, was du hast noch nicht gegeben
|
und du sollst noch
|
du sollst noch
|
du sollst noch tausend Jahre leben können
|
|
Das sind echt Lieder, die du nur hier schreibst. Ich fühle das auch wenn es um donker en
|
licht geht. Das Fazit ist, es geht um Tod und Vergehen. Durch diese Phasen musst du
|
durch, um zum Licht zu kommen. Meine Vorstellung von dem was ich tue ist, nur ein Teil der
|
Wirklichkeit zu sein. Einige Lieder, sind meine Lieder, die betreffen niemand Anderen.
|
|
Zum Beispiel das Lied Witsand, das ich für eines meiner besten Lieder halte. Ich denke, da habe
|
ich die Mitte gehalten zwischen dem, wo ich zu jenem Zeitpunkt selbst mit beschäftigt war und
|
das es andererseits so offen ist, dass auch jemand anderer seine eigene Geschichte darin finden
|
kann. Das sind die besten Lieder.
|
Als ich zu Schreiben begann, war es so, dass ich bestimmte Dinge vorher gefühlt habe. Aber
|
man muss sie erst leben. Bei mir findet man das auch auf CD’s, das zu nehmen und zu
|
lassen. Ich kann mir auch vorstellen, dass es Menschen gibt, die sagen: das geht mir ein
|
bisschen zu weit.
|
|
Jetzt bin ich in einer anderen Phase, und zum Beispiel ist dieses Lied ein totaler Gegensatz zu
|
dem, was ich jetzt mache.
|
Bei der ganzen CD donker en licht befinde ich mich in einem Dämmergebiet. Das war
|
eine Art Vorspiel für verschiedene Dinge. Es wird ein sehr dynamisches Jahr, was meine Musik
|
betrifft.
|
|
Stef Bos singt und spielt Witsand
|
|
Wo der breite Fluss
|
sich im Meer verliert
|
Wo eine Wolke in der Ferne
|
das Sonnenlicht bricht
|
|
Und die Zeit atmet träge
|
denn die Zeit schläft
|
in den Armen der Bucht
|
wo der Südost weht
|
|
Und ich folge meinem Schatten
|
einen endlosen Strand entlang
|
bis die Sonne untergeht
|
in Witsand
|
in Witsand
|
|
Wo du fühlst,
|
dass nichts gemacht ist, um zu bleiben
|
Wo du dich umsiehst und siehst
|
wie deine Spuren verschwinden
|
|
Denn die Wellen die kommen
|
und die Wellen die gehen
|
und das Meer bewegt
|
in der Größe des Mondes
|
|
In einem Land wo die Zukunft
|
mit der Vergangenheit kämpft
|
Weit von hier
|
in unruhigen Städten
|
weit weg von diesem Strand
|
in Witsand
|
|
Und ich laufe durch die Jahre
|
einen endlosen Strand entlang
|
und ich versuche zu erklären
|
wie ich hier gelandet bin
|
wie stark ist es Zufall
|
wie stark ist es Schicksal
|
bin ich der, der ich sein wollte
|
ist es das was ich suchte
|
|
Und ich spreche mit dem Meer
|
und ich spreche mit den Toten
|
und ich vermisse manchmal einen Gott
|
an den ich glaube
|
so wie ich damals, als ich klein war
|
kurz vor dem Einschlafen
|
wusste das da jemand
|
über mich wachte
|
Jetzt stehe ich hier nachts
|
ich betrachte die Sterne
|
und weiß nicht mehr richtig
|
was ich sagen soll
|
Ich fühle mich manchmal müde
|
Ich fühle mich manchmal leer
|
Je länger ich lebe
|
Umso weniger weiß ich
|
|
Je weniger denke ich
|
an gut und an schlecht
|
an Wahrheit und Lügen
|
an Liebe und Hass
|
Mir genügen die Wolken
|
Mir genügt die Luft
|
ich kann sie stundenlang betrachten
|
Vielleicht ist das das Glück
|
vielleicht liegt da das Glück...
|
|
...wo der breite Fluss
|
sich im Meer verliert
|
wo eine Wolke in der Ferne
|
das Sonnenlicht bricht
|
|
Und die Zeit atmet träge
|
denn die Zeit schläft
|
in den Armen der Bucht
|
wo der Südost weht
|
|
Lute Vanduffel:
|
Witsand erschien auf dem Album Van Mpumalanga tot die kaap (Von Mpumalanga bis zum Kap).
|
Diesmal zu Hause bei Stef Bos aufgenommen. Jetzt verstehen wir ihn wieder ein bisschen
|
besser. Ab Samstag den 14. Februar 2004 tourt Stef Bos wieder durch die Theater in
|
Mittel-Flandern und durch die Niederlande. Alleine hinter dem Piano probiert er neue Lieder
|
aus oder spielt auf Wunsch alte Lieder. Mehr Informationen, Fotos und zusätzliche Hörbeispiele
|
finden sie auf der Website von Radio 1 VRT (Belgien).
|
|
Copyright für das Gespräch: Radio 1 VRT (Belgien)
|
Gehört und übersetzt von Peter Mioch
|